Suchtpotenzial

am 17.10.2021 in der Baulandhalle

Was beim ersten Termin der Kulturkommode Osterburken nach der Corona-Pause schon erfolgreich begann, fand mit dem Konzert des Musikkabarett-Duos Suchpotenzial eine äußerst erfreuliche Fortsetzung. Die situationsbedingte Verlegung der Veranstaltungen in die Baulandhalle scheint weit mehr als eine gelungene Notlösung, sondern für Künstler und vor allem das Publikum eine Bereicherung durch die vergrößerten Räumlichkeiten und der entstandenen Club-Atmosphäre zu sein. Dazu passend wurde der Auftritt mit Licht und Ton professionell in Szene gesetzt durch die ortsansässige er-Veranstaltungstechnik unter der Führung von Fabian Ebelle und Lars Rüdinger. Dass auch diesmal das Haus bis auf den letzten Platz gefüllt war, lag mit Sicherheit aber vor allem an den beiden Künstlerinnen, die trotz der schwierigen Situation der vergangenen Monate medial durchaus präsent waren und nicht zuletzt durch den Gewinn des Deutschen Kleinkunstpreises 2020 in der Kategorie Chanson/Musik/Lied auf sich aufmerksam machen konnten.

Die Musikerinnen Ariane Müller aus Ulm und die Berlinerin Julia Gámez Martin waren schon einige Zeit in verschiedenen Ensembles auf und für die Bühne tätig, ehe sie sich bei der gemeinsamen Arbeit für ein Musical im Jahre 2011 kennenlernten und zwei Jahre später das Duo Suchtpotenzial gründeten, als welches sie seither im deutschsprachigen Raum äußerst erfolgreich ihre Musikkabarett-Programme mit pointierten, frechen Texten präsentieren. So zeigen die beiden im Opener „Systemrelevant“ ihre Frustration darüber, wie sehr die vergangenen Lockdowns gezeigt haben, welchen geringen Stellenwert die Kultur offensichtlich hat und dies schließlich auch allen KünstlerInnen das Gefühl gibt, für die Gesellschaft nicht wichtig genug zu sein. Doch Suchtpotenzial klagen in ihren Songs nicht nur an, sondern lassen Platz für jede Menge Selbstironie. Außerdem haben Ariane und Julia augenzwinkernde Lösungen für diverse Probleme bereit. Mit der „Payback“-Methode zeigen sie mit viel Witz musikalisch auf, wie wir es den Menschen, die uns im Alltag nerven, einfach mit gleicher Münze zurückzahlen können.

Allerdings kommt nicht alles, was Suchtpotenzial zum Besten gibt, so harmlos daher. Die beiden Musikerinnen warten in ihren Songs bisweilen mit Texten auf, die haarscharf entlang der Gürtellinie gehen. Dabei sind die durchaus beabsichtigten Provokationen kein bloßer Selbstzweck, sondern öffnen auf diese Weise den Blick auf die nach wie vor ungleich verteilten Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft. „Erst wenn wir etwas Sexistisches umgedreht machen, wachen die Leute auf“, erklärt Ariane Müller kürzlich in einem Radio-Interview. Überraschen kann dies das Publikum nicht – schließlich heißt das aktuelle Programm „Sexuelle Belustigung“. Auch wenn sich die Statements des Comedy-Duos hinter so manchem derbem Witz verstecken, wird die Botschaft dahinter doch durchaus ersichtlich. Dabei halten sie sich nicht für die Besseren, sondern besingen in ihrem heimlichen Hit „Wir sind genauso scheiße wie ihr“ die weiblichen Schwächen, die sie mit dem vermeintlich starken Geschlecht durchaus verbinden. Und das mag für den ein oder anderen männlichen Zuhörer dann schon beruhigend gewesen sein.

Nicht zu vergessen, bot Suchtpotenzial aber auch hohes musikalisches Niveau. Ariane Müller begleitet am Klavier genauso begeisternd und mit Selbstverständlichkeit zwischen den Stilen wechselnd wie Julia Gámez Martin nach Belieben mit ihrer Stimme spielen kann. So ist das präsentierte Zauber-Mikrofon nicht etwa eine technische Errungenschaft, sondern ausschließlich das Ergebnis des wandelbaren Gesangs von Julia. Und sie amüsiert in den herrlich komischen Dialogen mit Ariane nicht nur durch ihre Berliner Schnauze, sondern auch mit mancherlei anderen Dialekten. Dankbar und begeistert genoss das Osterburkener Publikum nach der langen kulturellen Auszeit sichtlich und hörbar den Abend mit Suchtpotenzial gemäß dem Fazit aus einem ihrer Songtexte: „Die Welt dreht sich auch ohne uns weiter, doch nicht so bunt und so heiter.“

Text: Martin Hammer
Fotos: Michael Pohl