Philipp Scharrenberg

Am 07.03.2020 in der Alten Schule

In Zeiten sich überschlagender negativer Nachrichten über weltweite Krisen, tut es doch manchmal gut, sich in Konzerten, Kabarett oder anderen kulturellen Veranstaltungen etwas Ablenkung zu verschaffen. Was mittlerweile, bedingt durch die verordnete Kontaktsperre, nur noch über Fernsehen oder Internet vom heimischen Sofa aus möglich ist, konnte man Anfang des Monats glücklicherweise noch im ausverkauften Saal der Alten Schule genießen, wo die Kulturkommode Osterburken ihr Jahresprogramm mit Philipp Scharrenberg eröffnete.

Er sei froh, so der dreimalige Sieger bei den deutschen Poetry-Slam-Meisterschaften zu Beginn des Abends, dass die Zuschauerränge so voll seien, obwohl er auf seinem Plakat im Zusammenhang mit Germanistik angekündigt wird. Denn selbst unter Geisteswissenschaftlern gelten Germanisten noch als Nerds, die literarische Werke mittels Sekundarliteratur in ihre Einzelteile zerlegen und Sprache stets zwanghaft hinterfragen. Dennoch sei er hier, um, gemäß seines Programmtitels, zu beweisen: „Germanistik ist heilbar.“ Das machte der Kabarettist auch gleich in seinem ersten Song deutlich – einem Rap, bei dem man eine Ahnung von dem bekam, was die Zuhörer von diesem Abend zu erwarten hatten: geschliffene Texte, mal kritisch, meist humorvoll, mit und ohne Musik, gereimt und als Prosa – Futter fürs Gehirn eben.

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„Tu, was du willst – aber nicht, weil du musst.“ Geil! Die Welt gehört dir! Es sei denn du bist Germanist, dann stehst du da und denkst, da muss man jetzt im Grunde auch nur zwei Satzzeichen ändern, dann steht da: „Tu was! Du willst aber nicht, weil du musst.“ Sprachspielereien beherrscht Philipp Scharrenberg mit akrobatischer Sicherheit und macht damit seit vielen Jahren die Bühnen unsicher. Und so changiert auch sein aktuelles Programm zwischen Leistungskurs Literaturwissenschaft und Selbsthilfegruppe für unverbesserliche Leser von Büchern – diesen „analogen Readern“, bei denen das Scrollen so umständlich ist und die quasi solar betrieben funktionieren. So ganz ohne Licht geht es eben nicht.

„Hier geht es um die Germanistik, bei der man Bücher liest und nicht verbrennt“, bemerkt Scharrenberg nachdrücklich. Der Poetry-Slammer aus Bonn schaut hin, wo etwas schief läuft im Land, aber im Vordergrund stehen bei ihm Wortwitz und Spaß. Er besingt fette Kinder und falsche Kleidung, er dichtet über Fleischkonsum, modehungrige Maden und schreckt nicht davor zurück, Korrektur gelesene Liebesbriefe musikalisch zu verarbeiten. Als überzeugter „Fußgangster“ lässt Scharrenberg keinen Zweifel daran, dass die „Veganer der Straße“ keinesfalls das schwächste Glied im Straßenverkehr sein müssen.

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Das Publikum in Osterburken war ausnahmslos begeistert von dieser Pointenpower für Schnelldenker und bekam dafür als Betthupferl noch die ultimative Anleitung, wie man als lupenreiner Demokrat politisch korrekt Toffifee essen soll. Zweifellos machte der Abend mit Philipp Scharrenberg Appetit auf das weitere Jahresprogramm der Kulturkommode. Deswegen bleibt zu hoffen, nicht nur für die gemeinnützigen Kulturvereine, deren Verantwortliche sich mit viel Enthusiasmus und zeitlichem Engagement einbringen sondern auch für die Künstler und Veranstalter, die mit solchen Auftritten ihren Unterhalt bestreiten, dass die momentan wichtige körperliche Distanzierung von den Mitmenschen bald nicht mehr nötig sein möge und die Zuschauer wieder die Kleinkunstbühnen besuchen können. Denn vielleicht wird in diesen Tagen so manchem klar: keine noch so gut gemeinte „Quarantäne-Show“ via Bildschirm kann den persönlichen Besuch einer Kulturveranstaltung als Ort der Begegnung und den direkten Kontakt zwischen Künstler und Publikum ersetzen.

Text: Martin Hammer
Fotos: Michael Pohl