Jontef

am 14.10.2023 in der Baulandhalle

Unverzichtbar für die Kultur des Erinnerns / Lieder aus dem Schtetl voll Hoffnung und Melancholie

Mit Jontef waren herausragende Vertreter der Klezmer-Musik in Osterburken

Immer wieder – und offensichtlich gerade ganz aktuell – sollte unser Augenmerk darauf gelenkt werden, welch großen Anteil gerade künstlerische Veranstaltungen zum Verständnis für die unterschiedlichen Kulturen und Religionen beitragen. Umso wichtiger also, dass es solche Konzerte wie diejenigen der Kulturkommode Osterburken gibt, die mit Jontef zum zweiten Mal herausragende Vertreter der Klezmer-Musik für einen Auftritt in der Baulandhalle gewinnen konnte. Und wie gut, dass diese Ausnahmekünstler, die seit mittlerweile 35 Jahren auf deutschsprachigen Bühnen Musik machen, in Liedern und Anekdoten einen Eindruck vom Leben im jiddischen Schtetl der Vergangenheit vermitteln und gleichzeitig eine Idee davon, was es bedeutet, als Mensch jüdischen Glaubens mit der Historie, vor allem aber auch mit gegenwärtigen Sorgen und Ängsten umgehen zu müssen. Jontef gelingt dies auf unnachahmliche Weise auch ohne erhobenen Zeigefinger, ohne eine offene Anklage gegen die Schicksale, die jüdische Familien in den vergangenen Jahrhunderten erleiden mussten.

Insbesondere in den traditionellen Melodien und Texten des Klezmer steckt oftmals eine gewisse Melancholie und Traurigkeit, die jedoch, verpackt in eine Prise Ironie, immer verbunden ist mit der Hoffnung auf ein besseres, ein friedvolleres Leben im Vertrauen auf Gottes Plan. Als ein Beispiel aus dem Konzert sei hier „S‘ is‘ gut“ angeführt, ein Lied des jüdisch-polnischen Dichters und Komponisten Mordechaj Gebirtig, der 1942 im Krakauer Ghetto von deutschen Besatzungssoldaten umgebracht wurde. Wie in vielen seiner Texte blitzt, trotz des damals drohenden Holocausts, Humor und eine fast unerschütterliche positive Einstellung zum Leben durch alle Zeilen. Zahlreiche seiner Werke haben glücklicherweise überlebt und sie scheinen bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt zu haben. Sie führen uns auf liebevolle und doch eindringliche Weise in die jüdische Welt Osteuropas und sind, wie so viele zeitgeschichtliche Dokumente, unverzichtbar für die Zivilisation und die Kultur des Erinnerns.

Schon deshalb beinhaltet das Repertoire von Jontef einige von Gebirtigs jiddischen Dichtungen, welche mit kompositorischer Finesse und Fingerspitzengefühl vom musikalisch-kreativen Kopf des Quartetts, Joachim Günther, auf wunderschöne und angemessene Weise vertont wurden. Zudem gelingt wohl wenigen Künstlern eine solch authentische Interpretation dieser Texte besser als dem Sänger und Schauspieler Michael Chaim Langer, der, gebürtig aus Israel, seit langer Zeit an deutschen Theaterbühnen tätig ist und 1988 in Tübingen mit den beiden Musikern Joachim Günther (Akkordeon und Klarinette) sowie dem Violinisten und Gitarristen Wolfram Ströle die Band Jontef gründete, die einige Zeit später schließlich mit Peter Falk am Kontrabass ergänzt wurde. Inzwischen gehört das Quartett zu den meistgefragten Vertretern der Klezmerszene in Deutschland, was nicht nur an Langers Bühnenpräsenz und seiner Fähigkeit liegt, in humorvollen Anekdoten und kurzen Liederklärungen den Alltag im Schtetl lebendig werden zu lassen, sondern mindestens genauso sehr an der instrumentalistischen Qualität seiner Musikerkollegen.

Standen früher eher traditionelle Stücke im Vordergrund, hat Jontef mittlerweile hauptsächlich Eigenkompositionen im Programm: zum einen Joachim Günthers Lieder und seine Instrumentalstücke, die in ihrem Wechsel zwischen schwungvollem Tanz und sehnsuchtsvollen Melodien sein einfühlsames Klarinettenspiel besonders zur Geltung kommen lassen, aber auch die teilweise klassisch wirkenden Streicher-Duette aus der Feder von Wolfram Ströle, welche in ihrer rhythmischen Komplexität ein ums andere Mal die Virtuosität und das blinde Verständnis zwischen Violine und Kontrabass herausfordern.

Unbestritten war Jontefs Auftritt auch diesmal wieder ein Highlight im Kulturkommode-Programm, auf hohem musikalischen Niveau mitreißend, humorvoll und anrührend zugleich – ein Konzert, welches das Publikum durchweg begeistert und ob der gegenwärtig inhaltlichen Aktualität dennoch mit einer gewissen Nachdenklichkeit in die Nacht entließ.

Text: Martin Hammer
Fotos: Michael Pohl / Andreas Häckel