Michael Hatzius

am 22.09.2024 in der Baulandhalle

Auch Puppen haben eine Seele – Puppencomedian Michael Hatzius lässt mit seinem tierischen Ensemble die unterschiedlichsten Charaktere lebendig werden.

Wenn die Echse eine Bühne betritt, scheint es fast so, als wenn ein allwissender Philosoph das Volk gnädig zur Audienz bittet, um es an seinem unendlichen Erfahrungsschatz seit der ersten selbst herbeigeführten Zellteilung teilhaben zu lassen. Überzeugend glaubhaft doziert sie über die miterlebten geschichtlichen Großereignisse, analysiert das aktuelle Zeitgeschehen mit selbstverständlicher Nonchalance und gibt mit dem ihr eigenen Selbstbewusstsein mehr oder minder gute Tipps für alle Lebenslagen und die persönliche Zukunft. Und man hängt, trotz der durchaus etwas machohaften und selbstüberschätzenden Art, an ihren Lippen und hört mit großem Vergnügen zu, denn die Echse ist nichts anderes als die einzigartige und höchst unterhaltsame Erfindung des Puppenspielers Michael Hatzius, der mit seiner bekanntesten Figur seit Jahren auf den deutschsprachigen Bühnen und verschiedenen Fernsehformaten begeistert und nun endlich auch die Kulturkommode Osterburken in der Baulandhalle besuchte.

„Jetzt sitzt der Frosch“, seufzt die Echse, nachdem sie umständlich auf dem Bürostuhl Platz genommen hat – oder besser: auf dem Schoß ihres Puppenspielers. Denn was die Zuschauer nach wenigen Augenblicken nicht mehr wahrnehmen: die mannshohe Puppe in der alten NVA-Motorradkluft wird zwar von Hatzius gespielt, der, wenn auch eigentlich die gesamte Zeit sichtbar, dennoch völlig im Hintergrund bleibt. Und genau das macht die Genialität von Hatzius‘ Puppenspielkunst aus, dass er seinen Figuren auf der Bühne eine derartige Präsenz und einen solch eigenständigen Charakter verleiht, dass der Mensch dahinter fast nicht mehr wahrgenommen wird.

Nicht von ungefähr kommt diese Fähigkeit, hat Michael Hatzius doch immerhin Puppenspiel an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Bosch in Berlin studiert und unterrichtet dieses Fach heute selbst. Irgendwann hat er bewusst entschieden, aus dem klassischen Ensembletheater auszusteigen und den solistischen Weg als Puppencomedian zu gehen, um mit den verschiedenen Puppencharakteren die Facetten der Gesellschaft darstellerisch abzubilden und seine Spielfreude dabei voll ausleben zu können. Die zeigt sich schon alleine darin, dass er, sozusagen als Spiel im Spiel, die Echse selbst eine Puppe führen und dem Publikum erklären lässt, dass Bauchreden Kitsch sei und wahres Puppenspiel das nicht nötig hat, nur um anschließend zu beweisen, dass sie es könnte, wenn sie wollte. Das ist nicht nur unheimlich witzig, sondern treibt die Illusion letztendlich noch auf die Spitze.

Doch auch die Puppenbauer haben einen nicht unwesentlichen Anteil am Erfolg von Hatzius. Ihnen ist es gelungen, mit der Echse eine Figur zu erschaffen, die sehr ausdrucksstark ist und viele verschiedene Emotionen glaubhaft machen kann. Deswegen gibt es laut Hatzius auch keine „Ersatz-Echse“, denn das Original hat für ihn zweifellos eine Seele und nur diese eine Puppe gibt genau den Charakter wieder, den er um sie herum (oder eher mit ihr gemeinsam?) im Laufe der Zeit entwickelt hat: diese etwas prollige Amphibie, die sich mit Zigarre in der Hand und übereinandergeschlagenen Beinen, ganz von sich eingenommen, in ihrem Sessel räkelt und dem Publikum in scheinbarer Allwissenheit die Welt erklärt, ohne dabei unsympathisch zu wirken. Zum tierischen Ensemble gehören aber auch ein Huhn, das in seiner Demut („Huhn ist okay.“) und mit seiner unsicheren Art den direkten Gegenpol zur Echse darstellt. Nicht zuletzt sind die beiden ungleichen Schweine Steffi und Torsten seit ihren regelmäßigen Auftritten bei den WDR-„Mitternachtsspitzen“ mittlerweile ebenfalls zu absoluten Publikumslieblingen geworden und durften natürlich auch in Osterburken nicht fehlen.

So wie Michael Hatzius immer wieder neue Figuren entwickelt, liebt es der Künstler, in jedem seiner Programme immer mehr zu improvisieren. Sein Spiel verselbstständigt sich in der Kommunikation mit dem Publikum, durch dessen Impulse sich stets unterschiedliche Dynamiken im Saal entwickeln. Dazu holt sich die Echse, wie auch in Osterburken, gerne auch Zuschauer auf die Bühne und beweist im kurzweiligen Gespräch, beim Blick in die mystische Glaskugel oder im Sinnieren über unbekannte Dialektwörter die Lust zur Spontaneität. Einen Abend mit Michael Hatzius und seinen Puppen live zu erleben ist einfach besonders, weil dabei jedes Mal etwas Einzigartiges entsteht. Oder um es mit der Echse auf den Punkt zu bringen: „Der Applaus ist angebracht!“

Text: Martin Hammer
Fotos: Michael Pohl